„Ich war gespannt, hatte aber keine Angst.“

07.05.2024

„Ich war gespannt, hatte aber keine Angst.“

Lamia Messari-Becker ist als junge Erwachsene zum Studieren nach Deutschland gekommen. An diese Zeit und an die Menschen, denen sie auf ihrem Weg begegnet ist, hat sie viele schöne Erinnerungen, erzählt aber auch von Rassismuserfahrungen. Im Gespräch mit der Vordenkerin 2024 erfahren wir mehr über den Menschen Lamia Messari-Becker, wer sie in ihrem Leben am stärksten geprägt hat, wie man Menschen von guten Ideen überzeugt und vieles mehr.

Tee oder Kaffee, Frau Messari-Becker?

Messari-Becker: „Eine eindeutige Antwort: beides“

Stadt- oder Landleben?

Messari-Becker: „Stadtleben, aber immer im Wissen, was das Landleben für gestresste Städter ausmacht: Natur, Bodenständigkeit, Erholung, Ruhe und Entschleunigung.“

Urlaub am Meer oder in den Bergen?

Messari-Becker: „Lieber am Meer.“

Wie verbringen Sie am liebsten Familienzeit?

Messari-Becker: „Ich koche gerne und mag gemeinsame Essenszeiten mit der Familie. Seitdem meine Kinder fast erwachsen sind und oft eigene Programme haben, werden diese Zeiten immer knapper. Ich bin daher gerne die Nörgeltante, die das immer wieder einfordert und einplant.“

…Und wenn Sie mal Zeit für sich selbst haben?

Messari-Becker: „Auch dann koche und backe ich gern.“

Wie haben Sie Ihren Kindern, als sie noch jünger waren, ihren Beruf erklärt?

Messari-Becker: „Im Kindesalter mit Lego-Steinen. Später und immer, wenn wir an Wohnhäusern, Kitas, Schulen, Hochhäusern usw. vorbei gegangen oder gefahren sind, die ich mitgeplant habe, habe ich erzählt – irgendwann zum Leidwesen aller – was ich wo genau beigetragen habe…“

Wenn Sie an Marokko denken, das Land, in dem Sie geboren und aufgewachsen sind – welche drei Dinge kommen Ihnen sofort in den Sinn?

Messari-Becker: „Ohne zu überlegen? Meine Familie. Meine Kindheitserinnerungen. Das Meer.“

Erinnern Sie sich, wie Sie als junge Erwachsene, die zum Studieren nach Deutschland gekommen ist, in den ersten Wochen und Monaten gefühlt haben? Wie denken an diese Zeit zurück?

Messari-Becker: „Ich war gespannt, hatte aber keine Angst. Ich wusste, es wird alles neu für mich, hatte aber keinen Kulturschock. Ich denke gerne an Menschen, die mich unterstützten, meinen Weg zu gehen. An eine Familie, bei der ich zunächst wohnte. Der Vater war Bergbauarbeiter und erklärte mir in meiner ersten Woche in Deutschland, dass sich die Bundesländer gegenseitig helfen, Stichwort Länderfinanzausgleich. Es war, wenn Sie wollen, mein Integrationskurs. Gott habe ihn selig. Oder meine allererste Vermieterin, zu der ich heute noch Kontakt halte. An einen Mitarbeiter der Ausländerbehörde, der mir half, mein Studienkolleg und damit später mein Studium vorzeitig nach sehr kurzem Deutschkurs aufzunehmen. Oder an einen anderen, der mein Visum regelmäßig aktualisierte und anders als viele sehr freundlich war. Auch ihn kenne ich heute noch. An eine Familie, bei der ich als Studentin wohnte und mich schon damals wie eine Tochter behandelte. Für all das bin ich sehr dankbar.“

Gab es später auch negative Erfahrungen?

Messari-Becker: „Klar, die gab es. Jede Menge Diskriminierung aus einer Arroganz heraus, bis hin zu Rassismus selbst in den höchsten Politikberatungsgremien. Aber diese Erfahrungen haben mich nie dominiert oder gar gebremst. Es gab ja immer auch die andere positive Seite – und die ist nicht nur stärker, sondern prägt, wie ich finde, viel nachhaltiger.“

Wie haben Sie es geschafft, dass diese Erfahrungen Sie nicht ausbremsen? Und was würden Sie jungen Menschen mit auf den Weg geben, die in einer ähnlichen Situation sind?

Messari-Becker: „Da gibt es leider keinen pauschalen Rat. Aber man sollte sich bewusst machen, man ist damit nicht alleine, man darf sich wehren und sich daran erinnern, dass es auch die gibt, die einem helfen – Und vor allem: Weitermachen!“

Welche Menschen, sei es in Geschichtsbüchern, im Zeitgeschehen oder in ihrem persönlichen Umfeld, haben Sie in Ihrem Leben geprägt, Ihren Horizont erweitert oder sogar eine andere Richtung in Ihrem Leben einschlagen lassen?

Messari-Becker: „Niemand prägte mich mehr als mein Vater. Für meine Mutter und meinen Vater hatte die Bildung der Kinder und ihre Eigenständigkeit höchste Priorität. Ansonsten, die üblichen, aber wichtigen Verdächtigen: Mein Ehemann und meine Kinder.“

Am 14. Mai werden Sie in der Goethe-Universität in Frankfurt als Vordenkerin ausgezeichnet. Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie vom Vordenker Forum über die Wahl informiert und gefragt wurden, ob Sie den Preis annehmen?

Messari-Becker: „Es war eine sehr gelungene Überraschung. Ich dachte, und das war ja naheliegend, die Jury sucht Verstärkung in meinem Themengebiet und möchte mich als Jury-Mitglied anfragen. Als es klar war, um was es geht, habe ich lautstark meine Fassungslosigkeit zum Ausdruck gebracht. Ich erinnere mich, dass mein Mann in mein Büro kam, um nachzuschauen, ob alles in Ordnung sei. Der zweite Gedanke dazu setzte später ein: ich freute mich einfach über die Anerkennung meiner fachlichen Arbeit und Positionen rund um zukunftsfähiges Bauen. Im Bau wird nämlich entschieden, ob es uns gelingt, viele Nachhaltigkeitsziele gemeinsam, innovativ und sozialgerecht zu erreichen.“

Vordenken heißt oft, andere erst von guten Ideen überzeugen zu müssen. Wie überzeugt man Menschen von guten Ideen? Gibt es ein Erfolgsrezept?

Messari-Becker: „Nein, sicher kein Erfolgsrezept, aber einige Grundzutaten: Argumente vortragen und Widerspruch aushalten. Die Argumente der anderen nicht nur dulden, sondern wirklich ernst nehmen und respektieren, und dennoch weiter argumentieren. Verinnerlichen, dass es nie nur eine Wahrheit oder einfache Antworten gibt. In der eigenen Offenheit gegenüber den Argumenten der anderen, beginnt wiederum die Öffnung der anderen meinen Argumenten gegenüber. Wichtig ist bei all dem einen langen Atem zu haben.“

Worauf freuen Sie sich besonders bei der Preisverleihung am 14. Mai in Frankfurt?

Messari-Becker: „Vor allem auf die Aufmerksamkeit für meine Themen und Positionen rund um zukunftsfähiges und innovatives Bauen, bezahlbares Wohnen, diversifizierte Energiewende, moderne Mobilität, sozial-ökologische Stadt- und Raumentwicklung usw. “

Vielen Dank für das spannende Interview, Frau Messari-Becker!

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