Prof. Dr.-Ing. Lamia Messari-Becker als „Vordenkerin 2024“ ausgezeichnet

21.05.2024

Prof. Dr.-Ing. Lamia Messari-Becker als „Vordenkerin 2024“ ausgezeichnet

  • Ehrung auf dem „Vordenker Forum“ in der Goethe-Universität Frankfurt
  • Jungwissenschaftler Andreas Schaab erhält den „Young Innovators Award“ 

Frankfurt/Kassel, 21. Mai 2024 – Das von der Finanzberatungsgruppe Plansecur initiierte „Vordenker Forum“ hat die renommierte Bauingenieurin Prof. Dr.-Ing. Lamia Messari-Becker als „Vordenkerin 2024“ geehrt. Im Rahmen der Festveranstaltung zur zehnten Vergabe des Preises in der Frankfurter Goethe-Universität wurde zudem dem Jungwissenschaftler Andreas Schaab der „Young Innovators Award 2024“ verliehen. Plansecur-Geschäftsführer Heiko Hauser erklärte: „Wir freuen uns, eine der profiliertesten Wissenschaftlerinnen und Ingenieurinnen unserer Zeit auszuzeichnen, die derzeit maßgeblich zur politischen und gesellschaftlichen Diskussion in Deutschland und darüber hinaus beiträgt. Zusätzlich haben wir die Arbeit eines Nachwuchswissenschaftlers prämiert, der bereits in jungen Jahren einen wichtigen Beitrag geleistet hat.“  

Das Vordenker Forum ehrt herausragende Köpfe, die maßgeblich an der Zukunft unserer Gesellschaft mitwirken, mit dem „Vordenker Preis“. Ziel der Preisverleihung durch eine unabhängige Jury* ist es, dem gesellschaftlich wichtigen Thema „Mutiges Vordenken“ Aufmerksamkeit und Gewicht zu verleihen. Vor Prof. Dr.-Ing. Lamia Messari-Becker wurden der KI-Pionier Prof. Dr. Sebastian Thrun (2022), der Politologe Prof. Bassam Tibi (2019), der Rat der Wirtschaftsweisen (2018), Dr. h.c. Frank-Jürgen Weise (2016), Dr. Nicola Leibinger-Kammüller (2015), Jean-Claude Juncker (2014), Prof. Paul Kirchhof (2011), Bischof Dr. Wolfgang Huber (2009) und Prof. Norbert Walter (2008) als Vordenker ausgezeichnet.  

Ganzheitlicher und differenzierter Zugang 

„Jury-Vorsitzender ist ein Traumjob, weil wir uns mit den großen Zukunftsfragen befassen“, beschrieb Prof. Dr. Gabriel Felbermayr auf der Veranstaltung launisch seine Rolle. In der Urkunde für die diesjährige Preisträgerin begründet die Jury ihre Wahl wie folgt: „Ressourcenknappheit und Klimawandel erfordern eine völlig neue Denk- und Bauweise. Sie sind die Expertin, die in dieser Hinsicht die Debatte in Deutschland führt. Mit Weitsicht und hoher Expertise zeigen Sie in Ihren verschiedenen Ämtern und Funktionen, wie Nachhaltigkeit beim Bauen und in der Gebäudesanierung, bei der Energieversorgung, der Mobilität sowie bei der sozialen Stadt- und Raumentwicklung gelingen kann. Ihre visionären Ansätze zeichnen sich vor allem durch einen ganzheitlichen Blick aus. Ihr mutiges und wegweisendes Vordenken für ein nachhaltiges und zugleich sozialverträgliches Bauwesen würdigen wir daher mit dem Vordenker Preis 2024.“  

Der Ökonom Felbermayr hob hervor, dass Messari-Becker nicht ausschließlich aus ingenieurtechnischer Perspektive, sondern auch aus ökonomischer Sicht argumentiert.  

Mit Blick auf den Aufstieg der in jungen Jahren eingewanderten gebürtigen Marokkanerin zur Nachhaltigkeitsexpertin, Professorin und ersten Wirtschaftsstaatssekretärin in Hessen, fügte Prof. Felbermayr hinzu: „Sie ist zudem ein Vorbild für viele junge Frauen.“ Prof. Dr. h.c. Jutta Allmendinger, die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, lobte in ihrer Laudatio die diesjährige Preisträgerin als starke und sozial-sensible Stimme im Nachhaltigkeitsdiskurs. 

Keine Transformation ohne den Bausektor 

Vordenkerin Prof. Dr.-Ing. Lamia Messari-Becker verdeutlichte den 300 geladenen Gästen die Bedeutung des Bausektors. „Bauen steht für ein Drittel der CO2-Emissionen, gut ein Drittel des Energie- und die Hälfte des Ressourcenverbrauchs, fast 60 Prozent des Abfallaufkommens und 70 Prozent der Flächenversiegelung. Das Baugewerbe steht zugleich für Arbeitsplätze, in Deutschland für sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts“. Viel wichtiger: „Bauen prägt wie kaum eine andere Branche unseren sozialen Lebensraum“, so die Vordenkerin. 

Die Preisträgerin beeindruckte auf dem Forum mit der Vorstellung eines wohldurchdachten umfangreichen Forderungskataloges für das Bauwesen, um mit strukturellen und baulichen Maßnahmen das Klima und die Demokratie gleichermaßen zu schützen und die Wohnungsnot zu bekämpfen. Darüber hinaus mahnte sie eine diversifizierte Energiewende an. Ihre Aussage „Wir brauchen eine andere Wirtschaftspolitik“ machte deutlich, dass sie in großen Maßstäben denkt. In dem ihr eigenen Pragmatismus gab sie zugleich zahlreiche konkrete Beispiele. 

Der ländliche Raum wird vernachlässigt   

So werde bei der Transformationspolitik der ländliche Raum sträflich vernachlässigt. Die viel diskutierte Sanierungspflicht für Gebäude verkenne, dass es sich bei etwa einem Viertel aller davon betroffenen Gebäude um ältere Einfamilienhäuser, überwiegend im ländlichen Raum, handele, mit hohen Sanierungskosten, teils höher als der Gebäudewert. Auch übersehe eine Mobilitätswende mit Fokus auf Elektroautos die völlig unzulängliche Ladeinfrastruktur und den unzureichenden ÖPNV auf dem Land. Zudem werde die CO2-Bindung, die insbesondere im ländlichen Raum stattfindet, nicht genügend gewürdigt. Für Messari-Becker „gibt es keine erfolgreichen Städte ohne erfolgreichen ländlichen Raum“. Sie forderte: „Keine Städtebauförderung ohne Anteile für das Umland.“ 

Diversifizierung der Energiewende  

Bei der Energiewende stellte die Vordenkerin 2024 klar, dass sie die politische Fokussierung auf Strom für falsch hält. „Vielmehr benötigten wir drei Energieformen: Strom, Wärme und Treibstoffe.“ „Nur auf Wind- und Solarkraft zu setzen“ ist für sie „fahrlässig“. Zu Windenergie und Photovoltaik müssten weitere erneuerbare Quellen hinzukommen, etwa Bioenergie und Solarthermie. Denn der bisherige Anteil erneuerbarer Energien im Endenergiebedarf betrage weniger als 20 Prozent. „Wir brauchen daher alle Optionen“, so Messari-Becker. Dabei schloss sie ausdrücklich grundlastfähige Energiequellen wie Geothermie mit ein. Sie forderte: „Wir müssen uns bei den Lösungen breiter aufstellen, auch wenn viele glauben, dass sie die einzige und beste Lösung parat haben.“  

Für Messari-Becker ist es daher ein Gebot der ökologischen, ökonomischen und sozialen Verantwortung, die Energiewende zu diversifizieren, möglichst alle klimafreundlichen Energiequellen zu nutzen und insbesondere auf grundlastfähige Quellen zu setzen. 

Nachhaltigkeitsziele im Blick  

Beim Klima hält die Vordenkerin 2024 den alleinigen Fokus auf Klimaschutz für unzureichend; vielmehr müsse der Klimaanpassung eine gleich hohe Bedeutung zukommen. Es geht ihr nicht um „entweder, oder“, sondern um „sowohl als auch“. „Wir müssen städtebaulich korrigieren und unsere Infrastrukturen leistungsfähiger machen, um die Menschen bei Extremwetter zu schützen“, sagte sie. Sie gab zu bedenken, dass der Klimaschutz nur eines der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen ist. „Wir dürfen nicht ein einziges Ziel verabsolutieren, und darüber die anderen ebenso wichtigen Aspekte hintenanstellen“, sagte Lamia Messari-Becker. 

Fläche ist die einzige nicht vermehrbare Ressource 

Neben der CO2-Vermeidung und -Reduktion hält Messari-Becker das Speichern und Nutzen (CCS/CCU, Carbon Capture Storage and Utilization) für wichtig. Zudem stelle die CO2-Vermeidung nicht die einzige Herausforderung dar, sondern der schonende Umgang mit allen Ressourcen sei ebenso wichtig. Sie erklärte: „Die Fläche ist die einzige nicht vermehrbare Ressource. Der Umgang damit bestimmt nicht nur die Wohnfrage, sondern auch den Umbau des Energiesystems.“ 

Klimaschutz im Quartier und Primat des Umbaus   

Für mehr Klimaschutz in Gebäuden und mit Blick auf die Debatte um das Heizungsgesetz, mahnte die Vordenkerin, stärker auf Quartiere anstatt nur auf Einzelgebäude zu setzen. Quartiersbezogene Projekte seien umwelt-, kosteneffizienter und sozialverträglicher.   

Konsequenterweise regte die Bauingenieurin an, den Fokus stärker auf den Umbau bestehender Gebäude zu legen, um dem Gebot der Nachhaltigkeit und der Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum gleichermaßen nachzukommen. „Deutschland hat ein Baurecht, aber kein Umbaurecht“, sagte Messari-Becker und forderte ein „Primat des Umbaus“. „Abriss und Neubau ist oft kostengünstiger als die Sanierung, Aufstockung oder Umnutzung“, beklagte sie.  

Einen Grund sieht sie in der überbordenden Bürokratie: Sobald ein älteres Gebäude „angefasst“ werde, gelten die verschärften neuesten Vorschriften, zeigte sie auf, wo sie konkreten Änderungsbedarf sieht. Angesichts von immer mehr Single-Haushalten und steigender Lebenserwartung sollten flexible Grundrisse und die Teilbarkeit von Wohnraum erleichtert werden, um veränderten Lebenssituationen besser gerecht zu werden, und zugleich den Ressourcenaufwand und die CO2-Emissionen zu vermindern. 

Kreislaufwirtschaft statt Verzicht und Verbot 

Ihr politisches Credo umriss Messari-Becker auf dem Vordenker Forum wie folgt: „Unsere Chance liegt nicht im Verzicht oder im Verbot, sondern darin, Rohstoffe und Ressourcen so sparsam und effizient wie möglich zu nutzen, und sie immer wieder in den Kreislauf zu geben.“ So regte sie an, für Gebäude einen Ressourcen- statt eines Energieausweises einzuführen. 

Vordenkerin mit Wertekompass 

Dabei setzt die Vordenkerin auf den Interessensausgleich zwischen allen Beteiligten und auf Kompromisse. Sie argumentierte: „In einer Demokratie müssen politische Prozesse unterschiedliche Interessen einbinden“. Hierzu sollte die Politik ihres Erachtens „nicht bedingungslos auf die Wissenschaft hören“, sondern dieser „zuhören, mehrere Expertisen einbinden, abwägen und Kompromisse finden“. Sie führte aus: „In einer Demokratie ist der Fortschritt immer ein Kompromiss. Kompromisse sind das Wesen einer Demokratie. Nur Kompromisse schaffen soziale Akzeptanz und damit Geschwindigkeit in der Breite.“ In Anspielung auf die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen stellte sie klar: „Haltbar ist nur das, was wir in Freiheit und Demokratie entwickeln.“ 

Preisgeld für humanitäre Zwecke 

Das Preisgeld in Höhe von 20.000 Euro spendet Lamia Messari-Becker hälftig an die Tafel in Darmstadt, wo sie lebt, und an die humanitäre Organisation „World Central Kitchen“, die sich zur Aufgabe gemacht, Menschen in Notsituationen mit Lebensmitteln zu versorgen. „Es ist eine große Ermutigung, Menschen zu erleben, die das Glück haben, leistungsfähig zu sein, Erfolg zu haben, und im Erfolg ans Gemeinwohl denken“, lobte Frank-Jürgen Weise, ehemaliger Vorsitzender der Bundesagentur für Arbeit und Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sowie Vordenker des Jahres 2016, der Lamia Messari-Becker stellvertretend im Kreis der Ausgezeichneten begrüßte. 

Young Innovator: Leitlinien für Zentralbanken im Angesicht von Krisen 

Dem Jungwissenschaftler Andreas Schaab hat Plansecur den „Young Innovators Award 2024“ für seine wissenschaftliche Arbeit „A Theory of Dynamic Inflation Targets“ verliehen. Das Paper gibt Antworten auf die Frage, wie Zentralbanken ihre Inflationsziele dynamisch an gravierende wirtschaftliche Veränderungen anpassen können und sollten. Angesichts immer neuer „Schwarzer Schwäne“, also unvorhersehbarer Ereignisse, wie der Pandemie, dem Krieg in der Ukraine, den Verwerfungen auf dem Energiesektor oder der zeitweiligen Unpassierbarkeit des Suezkanals mit drastischen Auswirkungen auf die Weltwirtschaft hat die Arbeit der Nachwuchswissenschaftler eine hohe Aktualität.  

Nächstes Vordenker Forum im Frühjahr 2026  

Das nächste Vordenker Forum kündigte Plansecur-Geschäftsführer Heiko Hauser für das Frühjahr 2026 ein. Damit werde nicht nur dem etwa anderthalbjährigen Rhythmus bei der Wahl eines neuen Preisträgers Rechnung getragen, sondern auch der Tatsache, dass Plansecur als Initiator des Forums in zwei Jahren 40-jähriges Firmenjubiläum feiert. 

* Zur Jury gehören der Volkswirtschaftler Prof. Dr. Gabriel Felbermayr als Vorsitzender, Prof. Dr. Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („Wirtschaftsweisen“), der KI-Pionier Prof. Dr. Sebastian Thrun (Vordenker 2022), der Nachrichten-Journalist Dr. Claus Kleber, Prof. Michael Binder, Ph.D., Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Makroökonomie und Empirische Wirtschaftsforschung an der Goethe-Universität, Ex-Bundesministerin Julia Klöckner, Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, Wolfgang Baake, ehemaliger Beauftragter für die Deutsche Evangelische Allianz am Sitz der Bundesregierung, Thorsten Alsleben, Geschäftsführer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), Prof. Dr. Renate Köcher, Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie in Allensbach, der Plansecur-Geschäftsführer Heiko Hauser und sein Vorgänger Johannes Sczepan sowie die Finanzberater Gunther Otto und Johannes Schäffer.  

Partner des Vordenker Forum 2024 sind die ALH Gruppe (Alte Leipziger-Hallesche), die Württembergische, die F.A.Z. und das House of Finance der Goethe-Universität Frankfurt.

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